Samstag, 31. Mai 2014

Zen-Meister Sengai (1750–1837) im Rietberg Museum Zürich

4-Meditierender-Frosch-Meditating-Frog_presse-klZen-Meister Sengai Gibon (1750–1837), Meditierender Frosch (zazengaeru), Tusche auf Papier 40,3 x 53,8 cm, Copyright Idemitsu Museum of Arts Tokyo, zu sehen in Serie 1 der Ausstellung 18.5.-29.6.14.

Museum Rietberg Zürich 18. Mai – 10. August 2014.

Erstmals nach über 50 Jahren sind 40 der berühmtesten Werke des Zen-Meisters Sengai Gibon exklusiv in Zürich zu sehen. Anlass ist das 150-Jahr-Jubiläum der diplomatischen Beziehung zwischen der Schweiz und Japan. Die lichtempfindlichen Bilder werden in zwei Serien je sechs Wochen gezeigt und stammen aus dem Idemitsu Museum of Arts in Tokio, das die die bedeutendste Sammlung von Tuschebildern und Schriftkunstwerken von Gibon Sengai besitzt. Einmalig ist die Gelegenheit, das facettenreiche Vermächtnis des Zen-Meisters und höchst eigenwilligen Künstlers neu zu entdecken, der in seiner Art und expressiven Ausdrucksweise schon zur künstlerischen Moderne gezählt werden kann.(1)

Gibon Sengai war Abt des ältesten, bereits 1195 erbauten, Zen-Klosters in Japan. Im Alter von 62 Jahren zog er sich zurück, um sich ganz der Malerei und Schriftkunst zu widmen, die ihm zur Unterweisung seiner Schüler dienten. Er lehrte also auch mittels Kunst, ein Vorgehen, welches nur wenige buddhistische Meister praktiziert haben. Seine Kunst sollte Kerngedanken des Zen-Buddhismus aber auch der einfachen Bevölkerung näherbringen. Ein Grossteil seiner Bilder gehört denn auch zu den zenkizu, den «Zen-Hilfsmittelbildern» hinter denen eine didaktische Absicht steht.

Im Vergleich zur mittelalterlichen Zen-Malerei, die bezüglich der Beherrschung der Pinseltechnik den semiprofessionellen Status vieler Malermönche des 13. bis 15. Jahrhunderts zu erkennen gibt, strahlen manche Bilder Sengais eine geradezu kindliche Unbekümmertheit aus. Der Gedanke hinter dem Bild und die eigenhändige Bildaufschrift waren offensichtlich von grösserer Bedeutung als eine ausgereifte Darstellung. Stammten die oft mit nur indirektem Bezug zum Bildthema verfassten Aufschriften in der mittelalterlichen Zen-Malerei meist von anderer Hand als die Bilder selbst, ist bei Sengai eine absolute Durchdringung von Wort und Bild erreicht. Auch wenn in der asiatischen Kunstauffassung Chinas und Japans Schrift und Bild mit dem gleichen Werkzeug (Tuschepinsel) geschrieben werden und als absolut gleichrangig gelten, ist die von Sengai erreichte integrale Darbietung doch sehr außergewöhnlich.

Seit den 1950er-Jahren verwendet man allgemein den Begriff zenga, «Zen-Malerei», für eine von Zen-Mönchen geschaffene Kunst, die Text und Bild zu einer Einheit verbindet und ihre Blütezeit vom 17. bis Anfang des 19. Jahrhunderts erlebte. Einen wichtigen Einfluss auf diese Entwicklung hatten die gleichzeitig populären haiga, «Gedicht-Bilder», eine Kombination aus haiku (Kurzgedicht) und ga (Malerei). In beiden Fällen waren es nicht professionelle Maler, sondern entweder Zen-Gelehrte oder Dichter, die ihre in Worte gefassten Gedanken mittels Tuschebildern weitere Bedeutungsschichten hinzufügten. Charakteristisch für zenga und haiga gleichermassen ist eine unprätentiöse, abkürzende Malweise.

Das Haiku des Poeten Matsuo Bashô (1644–1694) über den Frosch, der ins Wasser springt und den Ton, der dabei entsteht, gehört zu den berühmtesten japanischen Kurzgedichten: Eine friedliche Landschaft wird von einem quicklebendigen Frosch in Schwingung versetzt. An das Ohr des Betrachters der imaginären Szene dringt ein platschendes Geräusch. Dann ist wieder Stille. Indem Sengai das literarische Glanzstück nur wenig verändert – er ersetzt lediglich das Wort «Frosch» durch den Namen des Dichters «Bashô» –, erweist er nicht nur dem Schöpfer des Haiku die Ehre, sondern er deutet möglicherweise auch die transzendente Dimension eines geistigen Durchbruchs an.
In "Meditierender Frosch", einem seiner unübertroffenen Meisterwerke, stellt er so die Frage, ob es der Mensch oder der Frosch ist, der verschiedene Sphären durchdringt und zur Einsicht gelangt, unmissverständlich und auf tiefsinnig humorvolle Art. Ein breit dahockender Frosch mit menschenähnlichem Grinsen schaut auf einen Schriftzug, der, um ihn herumgeführt, nicht nur ein wichtiges kompositorisches Element darstellt, sondern auch die vergnügte Ausstrahlung des Froschs erklärt. Sein Sitzen in Meditation ist ohne Anstrengung, er ist eins mit sich und seinem Dasein. Ein Mensch, der dies erreicht, scheint Sengai zu sagen, ist so zufrieden wie dieser Frosch. Die Einsicht in das eigene Wesen führt zur Erleuchtung, nicht die Einhaltung allzu starrer Regeln. Sengai hält uns Menschen verschmitzt den Spiegel hin und zwingt mit liebenswürdigem Nachdruck zur ehrlichen Selbstreflexion.

Indem Sengai frei von jeglicher priesterlichen Überheblichkeit seine eigenen menschlichen Schwächen ohne Scham benennt, wenn er etwa vom Furunkel an seinem Gesäss spricht, das ihn bei der Meditation zum Gedenktag des Inders Bodhidharma, des Gründers des Zen-Buddhimus in China, behindert, baut er mit feinem Humor eine Brücke zum Laien, der sich mit dem Sitzen in Meditation schwer tut.

Zweifelslos als Ikone der japanischen Kunst gilt sein bekanntestes expressives Meisterwerk "Kreis, Dreieck und Quadrat". Unübertroffen in seiner Schlichtheit hat es bis heute Kunsthistoriker zu verschiedenen Interpretationen animiert, unter anderem auch Daisetz T. Suzuki (1870–1966) einen grossen Buddhismus-Gelehrten und Kenner von Sengais Werk, der wesentlich dafür verantwortlich zeichnet, dass bis in die 1980er Jahre im Westen ein regelrechtes Zen-Fieber herrschte. Suzuki interpretierte das von ihm als "Universum" betitelte Bild als Ausdruck von Sengais philosophischer Auffassung der Welt und deutete es als Wasser (Kreis), Feuer (Dreieck) und Erde (Quadrat), wie sie auch in der buddhistischen Architektur des Stûpa die Elemente verkörpern. Die sinnbildliche Darstellung seiner intuitiv erfassten Weltsicht ist zweifellos das Ergebnis einer Eingebung, denn der Pinsel wurde – ohne einmal abzusetzen und neu in die Tusche zu tauchen – in nur einem Atemzug geführt.

Die zeitlos und äusserst modern anmutenden Bilder vermögen die Betrachter je nach Wissensstand, Herkunft und Lebensumständen auf unterschiedliche Art zu erreichen. Deren prägnante Schlichtheit und der feine Humor Sengais, sprechen mit liebevoller Ironie den Kern der menschlichen Existenz an: es strahlt daraus eine tief menschliche Weisheit, die kaum jemanden unberührt lässt. Die zentrale Rolle Sengais verdeutlicht zudem die Antwort eines Abts auf die Frage, wie man Zen studieren könne: «Schauen Sie sich Sengai an. Überall ist Zen.»

1. Bildserie: 18. Mai – 29. Juni 2014,
2. Bildserie: 1. Juli – 10. August 2014


Im Internet: www.rietberg.ch/sengai

(1) Österreichisches Museum für Angewandte Kunst Wien, Sengai 1750-1837, 15.6.-12.7.1964, Katalogtext: Daisetz T. Suzuki, Vorwort: Sir Herbert Read, Tokyo 1961. Diese überhaupt einzige europäische Wanderausstellung wurde zwischen 1961-1964 in Italien, Frankreich, der Schweiz, Deutschland, den Niederlanden, England, Schweden, Dänemark, Österreich und Spanien gezeigt und präsentierte 70 Zenga und 10 Terrakotten. Vgl. auch Shokin Furuta, Sengai: Master Zen Painter, Tokyo u.a.: Kodansha Int. 2000.

Laut Suzuki heißt die Aufschrift:

"Wenn ein Mensch ein Buddha wird, einzig indem er zazen ausübt,
(dann sollte ich, unbedeutender Frosch, der ich bin, schon lange einer sein)."
Zazen ist das förmliche Sitzen in Meditation nach der Tradition des Zen-Buddhismus.
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