GAO Xingjian
GAO Xingjian und Thilo Götze Regenbogen im Gespräch vor dem Werk La Fin du Monde (2006, 240x350 cm, Öl auf Leinwand), Ludwig Museum im Deutschherrenhaus, Koblenz am Rhein, 28.3.2007. Foto: Beate Reifenscheid.
Thilo Götze Regenbogen, Interview GAO Xingjian 28.3.2007
TGR: Maître GAO, ich freue mich sehr, daß wir uns wiedersehen. In Frankfurt hatten wir ja schon eine Begegnung zusammen mit Helmut (Forster-Latsch, Übersetzer des GAO-Romans „Der Berg der Seele“, Frankfurt 2001) während der Buchmesse 2006. Die Fragen, die ich heute mitgebracht habe anläßlich Ihrer Ausstellung im Ludwig Museum Koblenz, sind so offen formuliert, daß ich hoffe, Sie werden eine Antwort finden, ohne sich eingeengt zu fühlen durch ein Korsett von Begriffen.
GAO: Einverstanden.
TGR: Religiös gebundene Menschen stellen sich im Umgang mit der Kunst manchmal vor, man könne den Kunstwerken Glaubenssätze oder religiöse Überzeugungen ablesen. Was antworten Sie einem Menschen, der solches von Ihnen und Ihren Bildern erwartet?
GAO: Meine Werke haben diesen Geist, diesen Geist des Zen („l’esprit Zen“), sind davon sehr geprägt. Es gibt tatsächlich diesen religiösen Gehalt in meiner Arbeit. Ich habe ein Stück geschrieben und dann mit meinem Freund, einem Komponisten, in Szene gesetzt, eine große Oper über den sechsten Patriarchen des Ch’an, Hui-neng, die genau auf diesen Wurzeln basiert. Für mich ist der sechste Patriarch nicht nur ein religiöser Führer, sondern auch ein Philosoph. Er hat eine bestimmte Art des Denkens und des Fühlens gezeigt und initiiert. Das bedeutet, er enthüllt das Bewußtsein des Menschen selbst einschließlich seines eigenen, um die Welt zu beobachten.
TGR: Das scheint mir doch zentral auch für Ihre eigene Arbeit im künstlerischen Bereich zu sein. Diese Sicht ist sehr verschieden von der gängigen westlichen Herangehensweise von außen. Ist das so?
GAO: Ja, mit diesem Bewußtsein. Es ist nicht einfach der Blick, es ist nicht nur die Vision, es ist das Bewußtsein, das diesen Blick erhellt.
TGR: Es handelt sich also nicht z.B. um ein psychoanalytisches Verfahren?
GAO: Keineswegs. Diese Vision ist nicht einfach eine Repräsentation der Wirklichkeit.
TGR: Praktizieren Sie selbst irgendeine Art formeller Meditation oder sind das Schreiben oder der Akt des Malens Ihnen Meditation genug?
GAO: Das Schreiben oder Malen, meine Arbeit selbst ist für mich eine einzige Meditation. Auf eine formelle andere Weise praktiziere ich nicht. Dabei spielt die Musik eine große Rolle, beim Malen höre ich zumeist Musik.
TGR: Ist das ein Geheimnis oder würden Sie uns verraten, welche Art von Musik Sie meim Malen inspiriert?
GAO: Ich wähle vorher ein bestimmtes Stück aus, das ich immer und immer wieder anhöre während der Arbeit. Es ist kein Geheimnis: Ich bevorzuge z.B. Barock und Klassik, Bach, Vivaldi – sehr europäisch, keine Chinesen – aber auch japanische Gegenwartskomponisten wie Takemitsu und einen ausgezeichneten koreanischen Komponisten der Gegenwart. Auch sehr moderne Komponisten wie z.B. Steve Reich oder Alfred Schnittke.
TGR: Hat das Werk des buddhistischen Mönchsmalers Pa-ta-schan-jen (Chu Ta, 1624-1705) für Sie selbst heute noch Bedeutung?
GAO: Er ist für mich sehr wichtig auch als jemand, der das Malen mit der chinesischen Tusche nochmals neu entwickelt, weitergeführt, neu erfunden und neue Wege erschlossen hat.
TGR: Meinen Sie mehr seine technische Entwicklung oder auch die spirituelle Bedeutung seiner Haltung?
GAO: Normalerweise ist die chinesische Landschaft in der Tuschmalerei sehr codiert. Man muß sie in der Ikonographie lesen können, um sie zu verstehen. Pa-ta-schan-jen war jemand, der sehr frei von diesen Codes war.
TGR: Wären Sie damit einverstanden, wenn man Ihre Malerei als eine neue Form von „Zen-Kunst“ klassifizieren würde?
GAO: Ich habe nichts dagegen.
TGR: Auf mich wirkt Ihre Kunst universell, also keineswegs nur für Zen-Adepten lesbar oder in einer kleinen Ecke von Paris oder nur in Deutschland oder Österreich verständlich.
GAO: Ja, das stimmt. Ich möchte allerdings die chinesischen Spuren, die „Chinoiserie“ in meiner Behandlung der Themen beseitigen.
TGR: Sie gelten als Erfinder des „Zen-Theaters“. Leider ist es mir bisher nicht geglückt, etwas von Ihren Theaterarbeiten und Dramaturgien zu sehen. Ich weiß auch nicht, ob es in Deutschland bisher eine Aufführung davon gegeben hat. Ich möchte Sie bitten, die Grundlinien Ihres Verständnissen von „Zen-Theater“ zu skizzieren.
GAO: Es handelt sich zunächst einmal um eine Kritik am Theater.
TGR: Am europäischen oder am chinesischen Theater?
GAO: Ein Freund von mir, der in London lebende Professor Zhao Yiheng, hat diese Formulierung „Zen-Theater“ erfunden und mich in einem Buch zum Begründer desselben erklärt. Ich bin nicht dagegen, aber es ist nicht nur das. Es gibt keinen GAO-Stil .
Im Grunde ist das Theater ja nach dem Zweiten Weltkrieg nochmals neu erfunden worden, wobei ich mich auf das westliche Theater beziehe. Es sind andere Formen erprobt worden, wie z.B. bei Samuel Beckett. Das ist alles im 20. Jh. geleistet worden und ich möchte das Theater im 21. Jh. nochmals neu bestimmen, aber ich möchte dies aus der Position des Dramaturgen tun, der einen dramatischen Stoff umsetzen will.
Auf Deutsch ist davon noch fast nichts übersetzt, in Englisch gibt es einiges, viel schon im Französischen. Gerade war ich in Spanien, es sind dort fünf Stücke in Übersetzung und im kommenden Jahr (2008) wird es in Barcelona mehrere Produktionen geben.
TGR: Könnten Sie bitte an einem möglichst konkreten Beispiel verdeutlichen, was Ihr Theater der Zukunft kennzeichnet?
GAO: Die Intrige wird verschwinden. Man wird über die Besetzung sprechen müssen. Die Rollen der Handelnden werden nicht mehr festgelegt sein.
TGR: Greifen Sie damit nicht direkt das Identitäts-Konzept an?
GAO: Das überkommene Konzept ist ja, daß eine Person „Ich“ sagt, dieses „Ich“ sagt „Du“ oder sagt „Er“ oder sagt „Sie“. Das ist für mich nur ein Blickwinkel. Davon möchte ich mich gänzlich lösen, das möchte ich aufheben.
TGR: Wie meinen Sie das?
GAO: Es gibt in einem Stück „Le Quêteur de la Mort“ (2003) z.B. nur zwei Redner, Sprecher 1 und Sprecher 2, keine individuellen Personen. Das ist die Dualität, Zwiefältigkeit eigentlich einer Person.
TGR: Das berührt sich mit meinem Verständnis Ihrer Romanfiguren bzw. Ihrer Weise von Autorenschaft.
GAO: Ganz richtig. Sie sprechen immer das „Du“, nicht das „Ich“.
TGR: Es ist unbedingt notwendig, daß dieses Theater auch in die deutschsprachigen Länder kommt!
GAO: Ein anderes Stück zeigt vier Personen, die jeweils die drei anderen Personen in sich vereinen und spiegeln können. Das ist aber ein falscher Dialog, kein richtiger Dialog. Sie nehmen immer die Perspektive der anderen ein.
TGR: Das ist nicht nur Zen, sondern schon französische Linguistik. Es ist auch eine Dynamik des Mahayana, sich zu identifizieren mit dem Anderen, aus seiner/ihrer Sicht sehen und sprechen zu lernen. Wichtig zu sagen, daß dies nicht nur ein intellektuelles Spiel ist.
GAO: Ja, es ist auch sehr, sehr psychisch, seelisch.
TGR: Was meinen Sie mit dem „Ende der Welt“ (Ausstellungs-und Werktitel): Das Ende der Welt von uns allen, das persönliche Ende (z.B. mit dem eigenen Tod) oder eine Grenze, die man überschreiten oder nicht überschreiten kann?
GAO: Das ist eine grundlegende Frage. Das „Ende der Welt“ assoziieren fast alle mit dem Tod, mit dem Ende und dem Tod. Es ist für mich aber nicht nur das, es gibt heute ein Realität, die uns bedrückt, die materiellen, keineswegs nur psychischen Probleme. Da ist die Klimaerwärmung, die Luftverschmutzung, die Vogelgrippe, Rinderwahnsinn - die Menschen schaffen ihre Übel selber. Was kann man machen? Die Situation wird immer schwieriger und schlimmer und es gibt eine große Angst, die dadurch entsteht. Auch für mich persönlich. Hier geht es also nicht nur um den Tod eines Individuums, sondern das sind wir alle, um die es hier geht.
TGR: Maître GAO, wir danken Ihnen herzlich für dieses Gespräch.
Das Interview mit GAO Xingjian fand am 28.3.2007 im Ludwig Museum Koblenz statt, wo am gleichen Abend die Ausstellung „GAO Xingjian – La Fin du Monde“ eröffnet wurde (28.3.-27.5.2007). Die Fragen stellte Thilo Götze Regenbogen. Für das Zustandekommen des Interviews, sowie für ihre freundliche und engagierte Übersetzungshilfe aus dem Französischen und zurück danken wir der Direktorin des Ludwig Museum Koblenz, Frau Dr. Beate Reifenscheid.
tgregenbogen - 20. Jul, 18:59