Ludwig Meidner 2013-2014

1914_meidnerLudwig Meidner, Die Abgebrannten (Heimatlose), 1912, Öl auf Leinwand © Museum Folkwang.

Seit diesem Herbst ist einer der herausragenden Einzelgänger unter den expressionistischen Künstlern, der Schriftsteller und Zeichner, Grafiker und Maler Ludwig Meidner (1884-1966) wieder häufiger präsent in Ausstellungen und Publikationen. Dies resultiert zum einen aus der in den letzten Jahren geleisteten Forschungsarbeit und zum anderen aus einem Großthema der Erinnerungskultur, welches seine Schatten bereits in diesem Herbst vorauswirft: dem Beginn des Ersten Weltkrieges im Jahre 1914. Zu letzterem Thema ist bereits im August 2013 eine Studie erschienen:

33 Notate 1914.
Eine Lektüre-Empfehlung von Thilo Götze Regenbogen
Edition 7 der Folge PARALIPOMENA im EygenArt Verlag
24 S., 2 Abb., 29,7 x 21 cm, August 2013.
Dieser Text faßt zugleich zahlreiche der geplanten Veranstaltungen zum Thema zusammen, wie der Autor auf grundlegende Fragestellungen der Gedenkkultur, von 1914 und zur Frage des Mythos eingeht.

Folgende Publikationen, ebenfalls basierend auf den Forschungsarbeiten von Thilo Götze Regenbogen, liegen bisher außerdem vor:

Thilo Götze Regenbogen: Apokalypse, Meidner, Bloch. Zur Meidner-Grafik aus dem „Septemberschrei“ im Tübinger Arbeitszimmer von Ernst Bloch, in: Frank Degler (Hrsg.), Bloch-Almanach 30/2011, Ernst-Bloch-Archiv der Stadt Ludwigshafen am Rhein, Mössingen-Talheim: Talheimer Verlag 2011, S. 39-66.

Thilo Götze Regenbogen, Karola Bloch und Ludwig Meidner: Freundschaft und Korrespondenz, in: Irene Scherer/Welf Schröter (Hrsg.), Karola Bloch – Architektin, Sozialistin, Freundin; Mössingen-Talheim: Talheimer Verlag, Oktober 2010, S. 119-149.

Thilo Götze Regenbogen, Ludwig Meidner, in: ders., Feldbefreier in Kunst, Weisheit und Wissenschaft: Buddhismus und Kunst, Zweiter Teil, Band 3 der Schriftenreihe des Raum 1 Forschungsinstituts für Gegenwartskunst Hofheim am Taunus im diagonal-Verlag Marburg, Dezember 2010, S. 112.

Meidner_Skizzenbuecher_dtengl_140112

In diesem Herbst ist außerdem ein voluminöser Band zu Meidners künstlerischer Arbeit im Prestel-Verlag erschienen, der verspricht, ein Standardwerk aller künftigen Meidner-Forschung zu werden. Herausgegeben von Gerd Presler, einem Fachmann für Künstler-Skizzenbücher (darunter Kirchner, Munch, Baumeister und Beckmann) und Erik Riedel, dem verdienstvollen Leiter des Ludwig Meidner-Archivs im Jüdischen Museum Frankfurt am Main, liegt jetzt die zweisprachige (deutsch/englisch) Originalausgabe von Ludwig Meidners Catalogue raisonné (Werkverzeichnis) der Skizzenbücher vor.
Mit 496 Seiten im Format 30 x 24 cm und 1925 Farbabbildungen ist damit ein Buch über diesen leider immer wieder mal fast vergessenen deutsch-jüdischen Künstler entstanden, der von den Nationalsozialisten als „entartet“ gebrandmarkt und ins Exil getrieben wurde und dessen Künstlerleben nun auch anhand der kontinuierlichen Skizzen dokumentarisch verankert werden kann. Das beginnt bei den ersten Versuchen des Fünfzehnjährigen, setzt 1916 im Kriegsgefangenenlager Merzdorf bei Cottbus ernsthaft ein und geht bis zu den letzten Blättern aus dem Todesjahr in Darmstadt 1966.
Zwei einführende Essays der Herausgeber geben dem Werk wissenschaftliches Gewicht, wobei bemerkenswert ist, daß Gerd Presler seinen Beitrag Thomas Grochowiak (1914-2012) widmet, dem am 26.11.12 verstorbenen Künstler, Kurator und ersten großen Biographen Meidners, an den hier ebenfalls erinnert werden soll.

Die enorme zeichnerische Begabung Meidners, der spontane Einfallsreichtum seiner Linienführung, die ekstatische Ausdruckskraft seiner skripturalen Gestik erinnern zuweilen an Rembrandt und gehören zum Besten, was die Kunst des Expressionismus hervorgebracht hat. Allerdings darf nicht verschwiegen werden, daß dieser „heißeste Krater“ der vulkanischen Phase des frühen Expressionismus (Willi Wolfradt 1920) sich bereits während des Ersten Weltkriegs einer traditionell-religiösen jüdischen Lebensweise zuwandte und seine Ausdrucksmittel erheblich mäßigte und rundete. Damit wurde er exemplarisch zu einem derjenigen Künstler, welche durch eine religiös-weltanschauliche Neuausrichtung von eher avantgardistischen künstlerischen Mitteln zu einem gemäßigten Realismus fanden – ein stilistischer Bruch, der bis heute die Meidner-Rezeption bestimmt hat.
Dies ist möglicherweise einer der für den Umstand entscheidenden Gründe, daß bis heute kein Werkverzeichnis von Meidner vorliegt und daß mit den Skizzenbüchern dazu nun endlich ein Anfang gemacht wurde – so die Hoffnung der Autoren.

Im Unterschied zu einigen generalisierenden Aussagen des Mitherausgebers Gerd Presler, die dieser bei der Vorstellung des Werkes im Jüdischen Museum Frankfurt am 2.10.13 mitteilte, handelt es sich bei Meidners Skizzen allerdings so gut wie nie um Entwürfe und Vorzeichnungen zu größeren Werken in anderen Techniken, sondern um selbständige Arbeiten, von denen er eine Fülle in Pastell, Kohle und Bleistift hinterlassen hat. Schon aus der großen Bedeutung, die dem expressiven zeichnerischen Duktus in Meidners Gesamtwerk zukommt, erschließt sich dies völlig plausibel. Es ging ihm immer um den jeweils besonderen Moment, sehr selten nur um Vorplanung. Treffsicher im figurativen Detail strebt die Linie zu schwungvollen Ausschmückungen, die man als expressive Ornamentik verstehen könnte. Die hat sich auch in den späteren Jahren, tonig oder farbig gefaßt, immer mal wieder Geltung verschafft.
Die hier versammelten 51 Skizzenbücher machen die große Bandbreite der Ausdrucksmittel deutlich, welche sich Ludwig Meidner bei allem erkennbaren Personalstil erarbeitet hatte und die nun erstmals vollständig dokumentiert sind.
Wie Raphael Gross, der Direktor des Jüdischen Museums Frankfurt, zu Beginn des Bandes betont, ist die „Erforschung der Skizzenbücher Ludwig Meidners“ damit „noch keineswegs abgeschlossen“ und das umfangreiche Werk sei eher zu verstehen „als Materialsammlung und Aufforderung zu einer weiteren kunstwissenschaftlichen Auseinandersetzung mit Meidners zeichnerischem Werk.“ Dieser bescheidene Gestus darf nicht darüber hinwegtäuschen, daß dieses Pionierwerk durch sorgfältige Ausstattung, vorzügliche Druckqualität, Übersetzungen der Texte in den Skizzenbüchern und ein ausführliches Personenregister Maßstäbe setzt.

Ludwig Meidner, Werkverzeichnis der Skizzenbücher: Catalogue Raisonné of his Sketchbooks, hg. Gerd Presler und Erik Riedel, 496 S., 1925 Abb., 30 x 24 cm, gebunden, Prestel Verlag, September 2013.

1914_kirchner_fotoErnst Ludwig Kirchner, Selbstporträt im Atelier Berlin-Friedenau, Körnerstr. 45, 1915, Fotografie (Vintage print), Kirchner-Museum, Davos.

Wie ebenfalls während der Frankfurter Buchpräsentation zu erfahren war, wird die epochale Ausstellung der Bundeskunsthalle Bonn unter dem Titel „1914. Die Avantgarden im Kampf“ ab dem 8. November d. J. und bis zum 23. Februar 2014 auch eine ganze Folge von Meidner-Skizzenbüchern erstmals zeigen; aus einem Zeitraum, der sowohl weltgeschichtlich wie für Meidner persönlich von großen Erschütterungen, Herausforderungen und Sichtveränderungen geprägt gewesen ist.

Seit dem 19. Oktober d. J. und noch bis zum 19. Januar 2014 zeigt zudem die Städtische Galerie Dresden die Ausstellung „Das Jahr 1914. Ludwig Meidner in Dresden.“ Der Fokus liegt hier auf dem sog. Großstadt-Expressionismus aus der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg in Meidners Wohnort Berlin, wo zugleich in sehr wenigen Jahren und oft prophetisch das Grauen vorwegnehmend, die Folge der „Apokalyptischen Landschaften“ entstanden ist. Zwischen 1913-1914 verbrachte Meidner zudem auch mehrere Monate in Dresden, wo z.B. seine „Anleitung zum Malen von Großstadtbildern“ entstanden ist. Meidners Werk wurde bisher noch nie zusammenhängend in Dresden gezeigt. Ziel der Ausstellung ist es daher auch, diese Lücke in der Rezeption zu schließen. Mit über 100 Werken aus dem Zeitraum 1912-1916 aus fast dreißig deutschen Museen und Privatsammlungen soll ein dichtes Bild dieser spannenden Jahre in Meidners Schaffen vorgestellt werden.

Die beiden längeren, oben bereits erwähnten Forschungsberichte von Thilo Götze Regenbogen aus den Jahren 2010-2011 behandeln erstmals alle diese Themen im Zusammenhang der Zeit und von Meidners Freundschaft mit Karola Bloch (1905-1994), deren Zeichenlehrer er in Berlin gewesen ist und die von ihm damals und dann wieder 1960 auch porträtiert worden ist.

Die publizierenden Ausstellungsinstitute und Verlage sind im Internet zu finden:

http://juedischesmuseum.de/ludwig-meidner-archiv.html
http://www.galerie-dresden.de/
http://www.randomhouse.de/prestel/
http://www.bundeskunsthalle.de/index.html
http://tgregenbogen.twoday.net/stories/498218205/
http://www.talheimer.de/
http://www.diagonal-verlag.de/18n-buch.html
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